Frankreich ist im Jahr 2022 kein laizistisches Land mehr. Mohamed Ben Abbès, ein Politiker mit muslimischem Hintergrund, wird Staatspräsident, weil Sozialisten und Konservative ihn im Wahlkampf gegen die real existierende Marine Le Pen vom real existierenden Front National unterstützt. Michel Houellebeqcs „Unterwerfung“ ist fiktiv, hat jedoch enormen Bezug zur Realität.

Abbès‘ erste Amtshandlungen bestehen darin, den Laizismus abzuschaffen und die Scharia, die Polygamie, das Patriarchat und die Theokratie einzuführen. Hauptperson des Romans ist jedoch François, ein dem Alkohol zugeneigter Mittvierziger ohne feste Beziehung.

François beobachtet die Wandlung der Gesellschaft, die damit beginnt, dass viele Franzosen jüdischen Glaubens das Land schon vor der Wahl verlassen – weil sie fürchten, später entweder von den Rechten oder den Muslimen unterdrückt zu werden.

Cover "Unterwerfung" von Michel Houellebecq (c) DuMont

Cover „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq (c) DuMont

Michel Houellebecqs Roman ist nicht wirklich dystopisch, da François ein zwar einsames, aber doch sehr reales Leben führt. Während es ihm aber immer besser geht, verändert sich das Land um ihn herum. Frauen dürfen nicht mehr arbeiten und müssen sich unmodern kleiden, Sozialausgaben werden von der Regierung zurückgefahren, die Kriminalitätsrate sinkt aufgrund der polizeistaatsähnlichen Verhältnisse.

Am Ende muss François zum Islam konvertieren und verliert sich in Visionen der Zukunft der französischen Gesellschaft.

Jede Menge Sprengkraft

„Unterwerfung“ birgt schon für sich allein ein gerüttelt Maß an – politischer – Sprengkraft, wobei Houellebecq selbst früh klarstellte, das Werk sei nicht islamophob gemeint. Doch der Erscheinungstermin rückte das Buch in ein völlig neues Licht, wobei die Lektüre dafür nichts konnte:

„Unterwerfung“ erschien genau am 7. Januar 2015, dem Tag der Attentate beim Pariser Satiremagazin „Charlie Hebdo“. Viele Rezensenten mussten ihre Entwürfe damals in den Schubladen liegen lassen – und da war garantiert auch Islamkritisches dabei.

Literarisch jedenfalls ist „Unterwerfung“ ein gelungenes Buch, das Gedankenexperiment eines muslimischen Frankreich ist spannend und kreist um einen Protagonisten, der sich mit den neuen Verhältnissen zurechtzufinden versucht. Und tatsächlich läuft für François alles besser, zumindest beruflich.

Demgegenüber stellt Houellebecq allerdings die Schattenseiten: ein autoritäres Regime, religiös getrieben, das das säkulare Frankreich beiseite schiebt.

Keine Provokation

Was man „Unterwerfung“ tunlichst nicht unterstellen darf, ist blinde Provokation, gar ein bewusstes Aufwiegeln des liberalen Frankreich (und somit des liberalen Europa) gegen den Islam.

Interessant ist durchaus, dass Houellebecq die Alternativen „muslimischer Staat“ und „ultrarechter Staat“ direkt gegenüberstellt und nebenbei die Frage beantwortet, inwieweit sich die beiden totalitären Regime in ihren Zielen unterscheiden – nämlich kaum.

Mehr und mehr scheint allerdings durch, dass François nicht gerade ein sympathischer Zeitgenosse ist, sondern sich mit den neuen Wirklichkeiten im muslimischen Frankreich durchaus arrangiert, weil er davon letztens profitiert.

Houellebecq ist allerdings so klug und vermeidet neben der Provokation auch die Panikmache, indem er skizziert, wie ein Land unter einem totalitären System wirtschaftlich gesundet – allerdings zum Preis der Unfreiheit, den insbesondere die Frauen zu zahlen haben. Ein unbequemer, aber gelungener Roman, der es sich selbst und seinen Lesern nicht einfach macht.

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