„Nullnummer“ von Umberto Eco: Erfunden, aber sehr real
In seinem letzten Roman, es ist sein siebter, reist Umberto Eco erneut in der Zeit zurück, und zwar ins Mailand des Jahres 1992. Der Schriftsteller taucht ein in jene Zeit, in der die Morgendämmerung der Ära Berlusconi heraufzieht. Dementsprechend siedelt Eco die Handlung von „Nullnummer“ im Spannungsfeld von Medien und Politik an.
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In gewohnter Manier – amüsant, wütend, genau beobachtend – erschafft der große Schriftsteller Eco (gestorben am 19. Februar 2016) noch letztes Mal eine Kulisse, vor der er eine Satire auf die Medien spielen lässt, die einhergeht mit einer gehörigen Portion Suspense. Und sogar einer Romanze.
Ein Typ wie der Cavaliere
Eco führt den Leser ein in die Redaktion einer Zeitung, die monatlich erscheinen soll und in der Chefredakteur Simei und der Protagonist des eBooks, der „Schreiberling“ Colonna, die einzigen sind, die wissen, dass das Blatt namens „Domani“ (italienisch für „morgen“, also der kommende Tag) niemals erscheinen wird. Die restliche Redaktion füllt das Blatt, es wird Nullnummer um Nullnummer produziert.
Warum das so ist, erfährt Colonna von Simei ohne Umschweife: Der Geldgeber der Zeitung Vimercate, ganz allgemein nur als Commendatore bezeichnet, braucht eine Zeitung, die vorgibt, mit der ganzen Wahrheit ans Licht gehen zu wollen – und zwar als Drohkulisse, um sich Eintritt zu verschaffen in die High Society. In die Bankenwelt und die der wirklich wichtigen Medien.
Nehmt mich in eure Welt mit auf oder ich enthülle eure Machenschaften, um nichts anderes geht es dem Commendatore, der unverkennbar verwandt ist mit Silvio Berlusconi vor dessen Aufstieg. Schon der Spitzname ähnelt dem Berlusconis (il Cavaliere) frappierend. Die Mitarbeiter der Zeitung sind angehalten, eine Art freies Training im Nachrichtenproduzieren abzuhalten, nur wissen sie nicht, dass aus dem Training niemals ein Wettbewerb wird.
Die Beschreibung dieser Situation gelingt Eco auf eine sehr unterhaltsame Weise, auch der Fortgang der Story – in der Colonna parallel zu seiner „Arbeit“ bei der Zeitung noch ein Buch für Simei schreiben wird. Allein diese Idee, über die hier nicht mehr verraten werden soll, ist ein typsicher Eco: genial und doch so einfach.
Ins Gefängnis kommen nur die Hühnerdiebe, nicht die wahren Verbrecher
Es geht um Verschwörung, Erpressung, um die Romanze zwischen der tollen Maia und Colonna. Und bald kommt noch Suspense hinzu, wenn das Paar seines Lebens nicht mehr sicher ist. Am Ende fährt Eco noch einmal kräftig auf, ganz so, als ob er wusste, dass es der Schluss seines letzten Buchs werden würde. Denn Braggadocio, ein Kollege von Colonna aus dem Domani, stirbt, er hat angeblich einen fantastischen Scoop gelandet: Mussolini soll noch leben! Außerdem enthüllt Braggadocio so allerlei über die italienischen Eliten: die Wirtschaftsoberen, die Politiker und die Kleriker. Und natürlich über die Mafia. Damit ist er irgendjemandem auf den Schlips getreten und wird beseitigt.
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Die Pointe in Ecos zwar vollgeladenem, aber nicht überfrachtetem Roman ist eine Fernsehdoku, die allerhand Beweise zu all den Skandalen, Verstrickungen und Affären liefert. Die interessiert aber niemanden. Colonna resigniert und sagt: „Heute werden die Deals in hellem Tageslicht vollzogen, als würden sie von Impressionisten gemalt: Korruption ist autorisiert, die Mafia offiziell im Parlament, der Steuerhinterzieher an der Regierung, und im Gefängnis sitzen nur die albanischen Hühnerdiebe.“
Fazit: „Nullnummer“ ist heiter und düster zugleich
So ist „Nullnummer“ gleichzeitig heiter und düster, dystopisch und gegenwärtig und vermutlich unfassbar real, wenn man das Italien von 1992 betrachtet – ein Land in einem Zustand, das einen wie Berlusconi hat erst groß und später zum mächtigsten Mann des Staates werden lassen. Ein intensives Buch und ein Lesevergnügen, das man sich nicht ersparen sollte. Schon weil Umberto Eco nie wieder einen Roman schreiben wird.
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