„Wir hatten ja nüscht im Osten … nich ma Spass!“ von Mikis Wesensbitter: Ein Land vor dem Umbruch
Der Mauerfall zählt zu den bedeutendsten Ereignissen der deutschen Geschichte und ist bis heute ein allgegenwärtiges Thema. Mikis Wesensbitter kann dem Wendepathos wenig abgewinnen. Also sammelt er seine Tagebucheinträge aus 1989 zusammen und bringt das Ganze zu Papier. Herausgekommen ist „Wir hatten ja nüscht im Osten … nich ma Spass!“ – ein unerhört unterhaltsames Wende-Tagebuch, das den Lesern eine schonungslos ehrliche Perspektive auf das Jahr 1989 eröffnet.
Der 1. Januar 1989 beginnt für Mikis wie fast jeder andere Tag: mit einem mörderischen Kater. Zu diesem Zeitpunkt ahnt er noch nicht, dass dieses Jahr alles Bisherige verändern wird. Denn Mikis kann mit Politik nur wenig anfangen, sondern widmet sich lieber Punk-Konzerten, Bier und natürlich Frauen.
Punk, Bier und flotte Weiber
Das Szenarium könnte nicht bizarrer sein: Wir haben das Jahr 1989 und zwei Anfangzwanziger liegen gemeinsam im Bett und lauschen den Klängen pathetischer Musik aus dem weit entfernten England. Dass für den Protagonisten Mikis mit dem verkaterten Neujahrstag eine aufregende Reise durch ein turbulentes Jahr 1989 beginnen soll, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Als junger Erwachsener ohne große Perspektive schlägt er sich mit bescheiden schmeckendem Gebräu durch den eintönigen Alltag oder dealt unter seinen Freunden auch gerne mal mit Pornobildchen. Komplettiert wird der ganz normale Irrsinn des jungen Mikis mit wilden Underground-Konzerten und mysteriösen Frauen, die immer wieder seinen Weg kreuzen.
An den verkaterten Tagen widmet er sich mit großem Eifer dem Verfassen von schlüpfrigen Eingabebriefen, mit denen er der schnüffelnden Stasi regelmäßig den poetischen Stinkefinger zeigt. Dass Onkel Kurt, die Stasi-Ratte aus Mikis Familie, bei jedem Besuch nur vorlaute Worte erntet, dürfte sich wohl von selbst erklären.
Aber auch das Spitzenpersonal der DDR wird mit Mikis provokativen Zeilen beglückt, der es für mehr als nötig hält, dass die Hauptstadt der DDR endlich mal ein ordentliches Bier an den Mann bringt.
Es könnte so einfach sein, wenn Mikis Geschichte an dieser Stelle zu Ende wäre. Denn neben dem ganzen Schnaps, Wodka und Kondomen, die stets über die Theke gehen, muss auch Mikis bald erkennen, dass seine ansehnliche Errungenschaft Anne mehr als nur sein Bett erobert hat.
Diese steht allerdings kurz vor ihrer Ausreise in den Westen und macht dem jungen Mikis keine großen Hoffnungen auf Exklusivität. Ein müder Kompromiss, den Mikis schnell bereut und stets daran erinnert wird, welchen Wert wahre Freundschaft doch hat.
Als wäre das noch nicht genug, geschieht im November das Unfassbare: Als Mikis arbeitsbedingt mit einem kaputten Lkw voller Unterlegscheiben in der sächsischen Provinz feststeckt, fällt doch tatsächlich die Mauer. Ein Ereignis, das alles verändern soll und Mikis samt seiner Freunde sprachlos zurücklässt.
Das Jahr neigt sich schließlich dem Ende zu und Mikis stimmt 1990 mit einer Frau an seiner Seite ein, deren tatsächliche Absichten ebenso wie die Zukunft des Landes in den Sternen stehen. Beide betrachten das Feuerwerk über der Stadt und können den ganzen „Freiheit-Idioten“ am Brandenburger Tor nur wenig abgewinnen.
Das Bild, das sich ihnen bietet ist ein klares Statement: Massen von Menschen wissen nicht, wohin sie nun eigentlich gehören. Und einer davon ist Mikis.
Schonungslos ehrlich und mit schelmischem Grinsen verfasst
Mit „Wir hatten ja nüscht im Osten … nich ma Spass!“ liefert Mikis Wesensbitter ein Buch, das so punktgenau wie mitreißend geschrieben ist. Bereits nach wenigen Tagebucheinträgen fühlt der Leser sich mit dem 21-jährigen Miki verbunden und kann gar nicht anders als den jungen Mann bei seinem persönlichen Weg durch einen niedergehenden Staat zu begleiten.
Ohne große Abschweife beobachtet der Leser den jungen Lebemann bei seinem ebenso tristen wie bizarren Alltag, bei dem sich nächtliche Streifzüge und ein monotoner Arbeitsalltag stets abwechseln.
Mit cleveren Pointen und unterhaltsamen Beschreibungen schildert Mikis Wesensbitter das letzte Jahr der DDR und den damit einhergehenden Wahnsinn. Mit einem steten Augenzwinkern beleuchtet er das bedeutende Wendejahr der deutschen Geschichte und entführt den Leser in eine Zeit, zu der Punk noch Punk war und Freundschaft und Freiheit wahren Bestand hatten.
Mit einem schelmischen Grinsen lässt uns der Autor an seiner Jugend teilhaben, zu der er „wirklich nichts“ hatte. Wenn auch der Titel des Buches anderes aussagt: Spaß kommt beim Lesen dieses Werkes keinesfalls zu kurz.
Fazit: Ein urkomisches Wende-Tagebuch mit Tiefgang
Mit „Wir hatten ja nüscht im Osten … nich ma Spass!“ präsentiert Mikis Wesenbitter die ungeschminkten Wahrheiten des Ostens und lässt zwischen den Zeilen weit mehr Tiefgang aufkommen, als man zunächst vermuten mag! Frech und mit Berliner Schnauze schildert Wesensbitter, wie er das Jahr des Mauerfalls wirklich erlebt hat und liefert damit die Chronik eines Staates, der kurz vor seinem Niedergang stand.
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